Pia Solèr: Die Weite fühlen
Ein Buch über Achtsamkeit, ohne Achtsamkeit zu sagen. Herrlich unverstellt. Kommt mit auf die Alm.
Ein Buch über Achtsamkeit, ohne Achtsamkeit zu sagen. Herrlich unverstellt. Kommt mit auf die Alm.
„Nach allem was ich beinahe für dich getan hätte“ von Marie Malcovati, erschienen bei der Edition Nautilus, ist in vielerlei Hinsicht ein wirklich ungewöhnlicher Roman: Zwei wildfremde Menschen sitzen auf einer Bank. Stundenlang. Ein Polizist der Kantonspolizei beobachtet sie. Stundenlang. Ort des Geschehens ist ein Bahnhof. Wir, die Leser, beobachten – ganz genau wie der Polizist Beat Marotti – zwei Personen, die ohne erkennbaren Grund auf einer Bank in der Bahnhofshalle sitzen. Lucy und Simon. Die Geschichten von Lucy und Simon, aber auch von Marotti, erschließen sich dem Leser peu à peu. Marotti, damit beginnt der Roman, wurde eingeteilt, die Schalterhalle des Basler Bahnhofs zu überwachen, da ein Drohbrief vermuten lässt, dass Aktivisten ihr Unwesen treiben könnten. Freiwillig macht er das nicht, aber eine Verletzung zwingt ihn aktuell zur Bewegungslosigkeit. Die Schmerzen betäubt er mit Tabletten – und dabei auch irgendwie sich. Lucy, so verrät uns der erste Satz über sie, hatte Genf abgesagt. Sie hatte sich krank gemeldet, ohne überhaupt krank zu sein. Wir erfahren, dass ihre Zwillingsschwester Laure tot ist und sie ihren Namen einem humanoiden Fossilfund verdankt. Da saß sie nun. Mit einer geheimnisvollen Nachricht in ihrer Tasche. Simon, …
Mein Herz schlägt laut und heftig für den mare Verlag. Vielleicht, weil der Verlag in Hamburg sitzt. Vielleicht, weil er einfach besondere Bücher macht. Vielleicht auch, weil alle Bücher bei mare auf die eine oder andere Art eine Verbindung zum Meer haben, denn so passt mare herrlich zu meinem Motto: Ein Leben ohne Meer ist möglich, aber sinnlos. In letzter Zeit hat es mir von mare ganz besonders „Die Schatten von Race Point“ aus dem Herbstprogramm angetan. In diesem Roman erzählt die Autorin Patry Francis die Geschichte von Hallie Costa und Gus Silva, die wild, gefühlvoll und einfach anders ist. Die Geschichte führt in die amerikanische Kleinstadt Provincetown auf Cape Cod, einer Idylle, wie sie im Buche steht. Als Vater von Hallie wird Nick Costa vorgestellt, der allseits beliebte Hausarzt mit feinem psychologischen Gespür; die Mutter Liz hingegen ist so früh verstorben, dass Hallie keinerlei Erinnerung an sie hat. Hallie hat ein schönes, geregeltes Leben in der kleinen, heilen Welt von Cape Cod. So scheint es. Doch dann wird Mrs. Silva umgebracht. Von ihrem Mann. Codfish. So verliert Gus nicht nur seine Mutter, sondern auch seinen Vater. Dieses …
Im Februar 2016 ist der neue Roman von Benedict Wells beim Diogenes Verlag erschienen: „Vom Ende der Einsamkeit“. In diesem Buch schreibt der 1984 geborene Autor über die Fragilität des Lebens – und den Versuch, am selbigen festzuhalten. Im Mittelpunkt steht Jules, der Ich-Erzähler, der bei einem Unfall seine Eltern verliert. In Folge dessen werden er und seine beiden Geschwister Liz und Marty aufs Internat geschickt, wo sich die Bande ihres Geschwisterdaseins – sofern es diese je gab – auf fast schon erschreckende Weise verflüchtigt. Im Laufe des Romans begleiten Jules (und auch Liz und Marty) auf ihrem Lebensweg. Jules‘ Leben ist geprägt von Alva, einem Mädchen, das er auf dem Internat kennenlernt, aus den Augen verliert und schließlich wiederfindet. Marty entwickelt sich zum erfolgreichen Super-Nerd & Ehemann, Liz betäubt sich mit Männern & Drogen. Sie alle eint eine Ruhelosigkeit, die ihr Leben nachhaltig beeinflusst … Benedict Wells ist noch recht jung, dennoch schreibt er mit einer solchen Lebensweisheit, das einem das Blut in den Adern gefriert. Und diese sprachliche Klarheit. Großartig. Ohne zu viel verraten zu wollen, gibt es im Buch eine (Lebens-)Phase, die …
Dieses Buch drückt die Stimmung, aber hebt das Lesevergnügen.
Manche Bücher sind schwer in Worte zu fassen, obwohl sie selbst in so schöne Worte gekleidet sind. „Der Tag, an dem ein Wal durch London schwamm“ von der finnischen Autorin Selja Ahava ist so ein Buch. Entdeckt habe ich das Buch durch einen wunderbaren Zufall. Eine Freundin, Madita vom Blog „Das Gartenjahr“, meinte sich dunkel zu erinnern, dass ich zu eben diesem Buch eine Rezension geschrieben hätte. Das hätte ich, wäre das Buch schon damals auf meinem Radar gewesen … das aber nur so nebenbei. Irgendwie passt dieses dunkle Erinnern dann auch perfekt zu dem Buch, denn zu den zentralen Elementen dieses wundervollen wie genialen Romans gehören Erinnern und Vergessen. Im Mittelpunkt steht Anna, eine ältere Frau, die direkt auf der ersten Seite von Gott besucht wird. Und mit ihm spricht. Tatsächlich spricht. Für mein Gefühl war dies ein etwas wundersamer Einstieg in die Geschichte, der sich jedoch auf wundersame Weise in die Gesamtkomposition einschmiegt. Anna blickt auf ihr Leben zurück, bruchstückhaft, denn sie konnte nicht alles festhalten. Anna erinnert sich an die Zeit auf …
||Unbezahlte Werbung|| „Die souveräne Leserin“ von Alan Bennett streichelt die literarische Seele und besticht als Ausgabe vom Wagenbach Verlag mit einem roten Stoffeinband durch eine gelungene Optik und Haptik. In meinem Bücherregal gehört Alan Bennetts Werk zu den schönsten Ausgaben überhaupt, ein Buch, das sich rundherum wundervoll anfühlt, innen wie außen. Die Geschichte handelt davon, wie sich die Queen zu einer späten, aber umso begeisterteren Literaturliebhaberin entwickelt. Als sie eines Tages ihren Corgies zu einem Bücherbus folgt, entleiht sie von dem dort tätigen Norman ein Buch. Mehr aus Höflichkeit, doch als sie Norman bei der Rückgabe des Buches erneut begegnet, engagiert sie ihn als Sekretär, also eigentlich Bücherlieferanten und persönlichen Buchtippgeber. Der Hofstaat ist „not amused“, insbesondere da sie alle mit ihrem neu entdeckten Leseeifer nervt und andere zu ihren Lesegewohnheiten befragt, und damit auch das eine oder andere Mal in peinliche Situationen bringt. Gern verdrückt sie sich auch bisweilen, um ein gutes Buch in Ruhe zu lesen … und ist dann für ihren Privatsekretär und Co. nicht auffindbar. Außerdem sitzt sie bisweilen in ihrer Kutsche, während …
Müsste ich die Frage beantworten, welches Buch mich nachhaltig beeindruckt hat, dann wäre es „Extrem laut und unglaublich nah“ von Jonathan Safran Foer. Dies ist jedoch auch das Buch, an dem sich die Geister meiner Freunde am meisten scheiden, so wirklich scheiden. Ich liebe dieses Buch. Wirklich. Abgöttisch. Obwohl ich das Buch vor mittlerweile neun Jahren gelesen habe, damals auf Englisch, kann ich mich noch ganz genau erinnern, wie ich dieses Buch gelesen habe – das wiederum sagt eigentlich schon alles. Ich musste es nach wenigen Seiten immer wieder weglegen, um das Gelesene zu verstehen, sacken zu lassen. Das war kein einfacher Prozess, und auch langwierig, doch jede, wirklich jede Wiederaufnahme der Lektüre hat sich gelohnt. Oskar Schell, ein neunjähriger Junge aus New York, Erfinder und Tamburinspieler, klug und fantasievoll, ist traurig. Tieftraurig. Bei den Terroranschlägen am 11. September 2001 ist sein Vater ums Leben gekommen und er kann dies einfach nicht verwinden, verstehen. Als er einen Schlüssel findet und kein Schloss dazu kennt, begibt er sich auf die Suche. Letztendlich nicht nur nach dem passenden …
Manchmal kaufe ich Bücher allein wegen des Buchtitels, ohne etwas darüber gehört oder die Beschreibung gelesen zu haben. „Das Ende des Alphabets“ von Charles Scott Richardson ist so ein Buch. Es ist die Geschichte von Ambrose Zephyr und Zipper Ashkenazi aus London. Ja, bereits in den Namen der beiden Hauptfiguren findet sich das Ende des Alphabets… und weil ein Ende auch immer einen Anfang braucht, natürlich auch der Anfang des Alphabets. Ambrose findet, dass „Die Sturmhöhe“ das langweiligste Buch ist, das je geschrieben wurde. Zipper hingegen kann nicht zählen, wie oft sie dieses Buch gelesen hat. Feine Details, die Ambrose und Zipper zu einem meiner liebsten literarischen Ehepaare machen. Ambrose fällt eines Tages, aus heiterem Himmel beim Gesundheitscheck durch. Ihm bleibt noch ein Monat, um gewisse Vorkehrungen für sein baldiges Ende zu treffen. Nun erfährt man, dass er sein ganzes Leben vernünftig war, in einem viktorianischen Reihenhaus ein ruhiges Dasein ohne Extravaganzen führte. Mit zwei Maßanzügen. So macht er das, was ich mir für ihn erhofft habe. Statt sich in seinen letzten Tagen auf die sogenannten …
In deutschen Buchläden hatte ich das Buch gar nicht entdeckt, in den Bücherregalen von Freunden auch nicht. Dafür musste ich erst nach Kopenhagen fahren, wo ich das Buch von einer bezaubernden Freundin empfohlen bekam. Ich weiß nun (noch mehr), warum sie in einer Bibliothek arbeitet. Sie hat es einfach drauf. Das Buch ist ein Hit. Echt. In „Die Unperfekten“ zieht Autor Tom Rachman den Leser in eine Welt aus bunten Geschichten, im Mittelpunkt steht eine internationale englischsprachige Zeitung mit Sitz in Rom. Man trifft Lloyd Burko, der irgendwie verlernt hat, gute Storys zu schreiben und es – man muss fast sagen leider – nicht hinkriegt, eine erfundene Geschichte unterzukriegen. Arbeit ist nicht alles, okay, aber familiär läuft es auch nicht rund. Gleich zu Anfang wird so mit immenser Wortgewalt spürbar, was Tom Rachman mit seinem Buchtitel meint, den Unperfekten. So überrascht es nicht, dass ich einen gewissen Snyder am liebsten aus dem Buch gezogen und meine Meinung gegeigt hätte. So wie manchem anderen Charakter auch. Ich bin komplett begeistert, wie Tom Rachman es schafft, die Charaktere …