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Jürgen Bauer: Was wir fürchten

Es gibt Bücher, die die Stimmung heben, es gibt Bücher, die der Stimmung entsprechen, und es gibt Bücher, die die Stimmung gen Nullpunkt ziehen. Wenig überraschend sind es oft die Bücher der dritten Kategorie, die einen – auch nach Monaten – nicht loslassen. „Was wir fürchten“ von Jürgen Bauer, erschienen bei dem österreichischen, unabhängigen Verlag Septime, ist ein solches Buch.

Der erste Satz in diesem Buch ist die Aufforderung, sich zu setzen. Als Leser fühlt man sich direkt angesprochen, aber eigentlich – so erfährt man später – ist dies an eine uns (anfangs) unbekannte Figur im Roman gerichtet. Ein gekonnter Kunstgriff, der direkt auf der ersten Seite einen ungeheuren Sog ausübt.

Und dann erzählt Georg von seinem Leben, einem Leben, das von Angst und Paranoia geprägt ist. Es beginnt – und er sagt, so begann alles – mit einem Mädchen auf dem Naschmarkt. Doch ganz so ist es nicht, denn wir erfahren, dass die Paranoia schon lange ein Teil seines Lebens ist, er diese nur gekonnt unter der Oberfläche versteckt hat. Nach und nach – während er mit dem Gegenüber spricht – entblättert sich Georgs Vergangenheit (und die Paranoia). Die Geschichte führt nach Wien, wo Georg mit seiner Frau ein – auf den ersten Blick – weitgehend glückliches Leben lebte, aber auch zurück in seine Kindheit mit einem psychisch kranken Vater, einer hilflosen Mutter, einer widersinnigen Freundschaft und traumatisierenden Geschehnissen.

Die Sogkraft des Romans entwickelt sich unter anderem aus der Unwissenheit, der Unwissenheit darüber, was wahr ist und was nicht, was geschehen ist und was nicht. An dieser Stelle mehr über den Inhalt zu verraten, würde diesen Sog mindern – und wäre so dem Lesegenuss abträglich. Und darum möchte ich euch keinesfalls bringen.

Durch eine unglaublich intensive Sprache schafft es Jürgen Bauer, die Angst über die Seiten hinaus zu transportieren. Ich hatte das Gefühl, nicht nur über die Angst von Georg zu lesen, sondern sie hautnah zu spüren. Es war beinah so, als sei sie aus den Seiten hervorgekrochen, hinein in mein Bewusstsein. Georgs Gemütsverfassung kriecht in jede Ritze des Körpers, und zwar so sehr, dass ich das Buch in regelmäßigen Abständen beiseite legen musste, um das Gelesene einsinken zu lassen. Beklemmend. Fantastisch.

Wer sich an dieses – zugegeben nicht ganz einfache – Thema herantraut, wird belohnt. Mit Lesestunden, die einen atemlos zurücklassen, und einem Leseerlebnis, das einen sich selbst wieder ein wenig mehr spüren lässt.

Lieblingssatz:
„Ich schulte meinen Blick in die Sterne und ertrug die Stunden im hellen Sonnenlicht nur, weil ich wusste, dass irgendwann die Nacht kommen musste.“

Jürgen Bauer, Was wir fürchten, S. 139/140

Eckdaten:
Jürgen Bauer
Was wir fürchten
Septime
Februar 2015
ISBN: 978-3-902711-38-0
21,90 Euro

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