Zunächst eine Vorbemerkung: Dies ist ein Buchtipp für literarische Genießer. Der im Jahr 1967 erschienene (und 2014 von mare in Deutschland veröffentlichte) Roman „Der Garten über dem Meer“ von der katalanischen Autorin Mercè Rodoreda (1908 – 1983) ist der Inbegriff für ein langsames Schweifen über die Seiten und ein tiefes Eintauchen in die Sprache.
Erzählt wird diese Geschichte aus der Perspektive des Gärtners der Herrschaften, die in jenem Haus leben, dessen Garten über dem Meer liegt. Zeitlich ist der Roman in den 1920er Jahren angesiedelt, wobei sich der Gärtner an sechs Sommer zurückerinnert, die die Herrschaften in diesem Haus hoch oben über dem Meer verbringen. Wir tauchen ein in die pittoresken Beschreibungen des Gärtners von Blumen und Pflanzen, über die er schlichtweg alles zu wissen scheint, aber auch in seine Erzählungen von der illustren Gesellschaft rund um das Herrenhaus.
Senyoret Francesc und Senyoreta Rosamaria sind frisch verheiratet, als sie das Haus zum ersten Mal als Sommerresidenz nutzen. Begleitet werden sie von einer Schar von Gästen und Bediensteten – und das auch in jedem der darauffolgenden Jahre. Der Maler Feliu Roca beispielsweise malt den lieben langen Tag nichts als das Meer und das Dienstmädchen Miranda zeigt eindeutiges Interesse am Hausherrn. Aus der Perspektive des Gärtners erfahren wir von Liebeleien, Schwangerschaften, Verflossenen … ein Potpourri des Lebens quasi. Ganz so einfach ist es jedoch nicht, denn wir können beobachten, wie das Leben in der gehobenen Gesellschaft in den 1920er Jahren in Spanien aussah, welche Zwänge und Abgründe sich durch dieses ergaben, wieso auch in einem Garten über dem Meer, einem wunderschönen Fleckchen Erde, Melancholie zu finden sein kann.
Langsam lesen: ein Quell der Freude
Ich habe dieses Buch so langsam wie es nur irgend ging gelesen. Die wohltuende, beinahe schon sanfte Sprache – wunderbar übersetzt von Kirsten Brandt – trägt den Leser bei der Lektüre förmlich durch die Seiten. Die Schilderungen des Gärtners erfolgen mit einem ganz eigenen Sinn fürs Detail – und erlauben so das vollständige Eintauchen in die Welt von Senyoret Francesc und Senyoreta Rosamaria. Die Raffinesse von Mercè Rodoreda schlägt sich dabei nicht nur in der Sprache, sondern auch in der Textkomposition nieder. Ein echter Genuss.
„Der Garten über dem Meer„ ist kürzlich als Taschenbuch beim Berlin Verlag erschienen. Ich habe mir jedoch die Ausgabe von den „mare-Klassikern“ mit Leineneinband, Schuber und Lesebändchen gegönnt. Ganz ehrlich, diese Aufmachung ist für mich schlichtweg DER Grund überhaupt, warum das gedruckte Buch niemals aussterben wird.
Und falls ihr es auch mögt, wenn ein Buch eher einem Marathon als einem Sprint ähnelt, dann empfehle ich euch an dieser Stelle aus tiefstem Herzen außerdem „Extrem laut und unglaublich nah“ von Jonathan Safran Foer.
Lieblingssatz:
Mercè Rodoreda, Der Garten über dem Meer, S. 27/28
„Dieser Baum“, sagte ich zu ihm, „hat viel Leid und Freude gesehen. Und er bleibt immer gleich. Jedes seiner sichelförmigen Blätter und jeder seiner Kapseln, die aussehen wie Bleilote mit einer samtige roten Blüte darin, haben mich gelehrt, so zu sein, wie ich bin.“
Buchinfos zu „Der Garten über dem Meer“
Mercè Rodoreda
Der Garten über dem Meer
Übersetzt von Kirsten Brandt
mare
240 Seiten
ISBN: 978-3-86648-033-9
28 Euro